Vor einiger Zeit meldete sich ein netter Mann aus dem Erzgebirge bei mir uns teilte mit, dass er eine alte Illustrierte aus der DDR habe, in der ein Artikel über die Frankenheimer Schule stand. Diese Ausgabe der „Zeit im Bild“ aus dem Jahre 1959 würde er uns überlassen – das Angebot nahm ich gerne an.
Im Folgenden ist der Artikel, der aus der Ausganbe 24 / 1959 stammt, im Original-Wortlaut wiedergegeben:
500 m vor der Grenze – Dort wo früher der Hunger zu Hause war, in den Bergen der Hohen Rhön, untersuchten unsere Reporter Werner Rödel und Paul Friedmann (Fotos) die Auswirkungen der demokratischen Schulreform.
In der Hohen Rhön, im äußersten Zipfel unserer Republik, von vorn, links und rechts eingeklemmt durch die unnatürliche Grenze, liegt, 13 Kilometer von der nächsten Bahnstation entfernt, das kleine Dörfchen Frankenheim. Der Boden ist hier steinig, das Klima rauh und die Ernte entsprechend gering. Der einzige Handwerkszweig ist im Aussterben, denn Pferdepeitschen werden im Zeitalter der Technik kaum noch gebraucht.
Die 1600 Einwohner wissen um die jahrhundertelange Not. Und heute? Die Männer fahren nun in die Kaligruben, das wenige Land wird von einer LPG bestellt, und die Peitschenhertsellung besorgt die Produktionsgenossenschaft. Die Einwohner sind zufrieden, denn unser Staat gab ihnen zum ersten Mal die Möglichkeit, richtig zu arbeiten und damit auch richtig zu leben.
Am zufriedensten aber in der Gemeinde sind die Schulkinder. Warum wohl?
Modern, großzügig, hell, steht am Ortseingang seit zwei Jahren eine neue Schule. Sie wirkt etwas fremd zwischen den altersgrauen und altersschwachen Häuschen des Dorfes. Aber schon bekommt die Schule Gesellschaft. Gleich gegenüber wachsen die ersten Häuser der Arbeiter-Wohnungsbau-Genossenschaft empor, und den Einwohnern und Schülern selber ist die Schule absolut nicht fremd, denn sie ist der Beweis dafür, dass es unser Staat mit den Worten „ein besseres Leben für alle“ ernst meint.
Und heute noch schlagen sich die Frankenheimer vor Lachen auf die Schenkel, wenn sie daran denken, wie vor drei, vier Jahren ihre Grenznachbarn in Bayern mit warnend erhobenem Zeigefinger über die Schlagbäume murmelten: „Da habt ihr´s, eine Kaserne baut sie euch dahin, eure Arbeiterregierung!“
Sonderbarerweise sind die Bürgermeister der bayerischen Nachbargemeinden der Einladung zur Besichtigung der „Kaserne“ nicht gefolgt. Ob ihnen die Blamage zu groß war? Dafür kamen westdeutsche Schüler, und deren Augen sagten mehr, als Worte zu sagen vermögen.
Bis 1957 gab es in Frankenheim vier Schulräume. Von außen sahen sie alle so aus wie die alte Kate oben, und von innen hatten sie mit Schulräumen auch nicht viel gemeinsam. Die Schüler hatten nicht nur Schichtunterricht, sondern mussten auch von einer Stunde zur anderen, ebenso wie die Lehrer, quer durchs ganze Dorf zum anderen Schulzimmer laufen.
Verständlich, dass sie heute jeden Fremden voll Stolz in ihr neues Schulhaus führen und es ihm von außen und innen zeigen, ihn auf die Sarafitoarbeit an der Außenmauer ebenso aufmerksam machen wie auf das reichhaltige Zubehör ihres Physikzimmers, in dem vom Episkop über das Tonbandgerät bis zum menschlichen Modell aus dem Hygiene-Museum Dresden alles zu finden ist.
Bis 1945 hatte die Schule einen Etat von nicht ganz 200 DM im Jahr. 1959 beträgt der Schuletat 12.000 DM allein für Lehrmittel und 17.000 DM für Löhne und Gehälter. Eine Steigerung, die in Prozenten ausgerechnet kaum noch glaubhaft wäre.
Geht man dann ein paar Hundert Meter nach links aus dem Dorf heraus, steht man an der Grenze zu Bayern. In Bayern sind seit 1948 650 einstufige Konfessionsschulen eingerichtet und mehr als 700 mehrstufige zu einstufigen Schulen zurückentwickelt worden. Es gibt jetzt allein in Bayern 2.135 Schulen, in denen alle Schüler von der ersten bis zur achten Klasse in einem Zimmer von einem Lehrer zu gleicher Zeit unterrichtet werden.
1958 errechneten Schulreformer für Westdeutschland einen Fehlbedarf von 22.000 Schulräumen und 7.000 Lehrern. Bei Einführung eines obligatorischen neunten Schuljahres würden weitere 10.000 Lehrer und weitere 14.000 Schulzimmer fehlen. Dabei wagen diese Schulreformer von einer zehnklassigen Schule noch gar nicht zu träumen.
Wie gesagt, nur ein paar Hundert Meter Land dazwischen, doch ein Unterschied wie zwischen Welten.
Nicht nur für die geistige Bildung, nein, auch für die körperliche Ertüchtigung ist in dem Schulneubau gesorgt. Die große Turnhalle mit Dusch- und Baderäumen ist ein richtiger Tummelplatz für gesunde Kinder. Dieses Jahr beginnt die Gemeinde noch mit dem Bau eines großen Sportplatzes. 12.000 DM wird sie hierfür aus Mitteln des VEB Sport-Toto bekommen. 13.000 DM aber wollen die Frankenheimer im Nationalen Aufbauwerk aufbringen.
Ihr Schule täglich vor Augen, wissen sie, dass alles das, was sie sich selbst erarbeiten, ihnen und ihren Kindern wieder zugute kommt.
Ob Flugzeugbauer oder Agronom, auch den 250 Schülern von Frankenheim werden diese Berufe einmal offenstehen, denn hier ist von der von früher sprichwörtlichen „Dorfschule“ nichts mehr zu spüren. Ab Herbst dieses Jahres wird die Schule von Frankenheim eine allgemeinbildende zehnklassige Polytechnische Oberschule sein.
Zu den jetzt schon amtierenden neun hauptamtlichen und zwei nebenberuflichen Lehrern werden dann drei weitere Lehrer kommen, und dass auch die notwendigen Lehrmittel nicht fehlen, ersieht man daraus, dass ebenfalls noch in diesem Herbst unter anderem eine Allzweckwerkzeugmaschine im Werte von 2.000 DM für die Schüler eintrifft.
1.113.000 DM gab unsere Republik für den Bau dieser Schule aus. 30.000 Mark von dieser Summe waren für die künstlerische Gestaltung bestimmt. Ein Kollektiv des Verbandes bildender Künstler aus Suhl hat diese Aufgabe mit viel Geschick gelöst. Vor dem Eingang steht die Plastik einer kleinen Schifahrerin, im Haus findet man buntgekachelte Trinkwasserspeier, und für die Schulanfänger ist es jedes Mal eine große Freude, wenn sie vor ihrem Klassenzimmer stehen und auf der Türe den Zirkusclown, die Lämmerherde oder den Pionier mit dem Rucksack sehen. Ihnen kann es dank des Suhler Künstlerkollektivs nicht passieren, dass sie in ein falsches Klassenzimmer rennen.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Auch ich bin ein Frankenheimer Kind. Ich durfte diese wunderschöne Schule von 1957 – 1967 besuchen. 1970 bin ich von Frankenheim nach Dessau gezogen auch in dieser langen Zeit schlägt mein Herz noch für Frankeme.
Es ist schön Artikel aus dieser Zeit zu lesen und wunderschöne Erlebnisse kommen wieder zum Vorschein. Ich schwelge gerne in Erinnerungen.
Durch einen Hinweis bin ich auf diese Seite um den sehr interessanten Artikel gestoßen.Schön das es noch Material aus dieser Zeit gibt.Es kommen Erinnerungen an eigene Erlebnisse aus der Schulzeit.Auch ich konnte die Einweihung in Frankenheim miterleben,wurde 1954 eingeschult.Ja wir waren damals stolz auf unsere Schule, sie war und ist etwas Besonderes.
ja,ja lang ist es her! Wir hatten eine wunderschöne Schule und prima Lehrer.Auch die Einwohnerzahl ist interessant wir in dieser historisch kurzen Zeit um 400 Einwohner geschrumft.Kennt jemand die Personen auf den Foto,s sind abgebildet sind?
Hallo Siegfried, auf dem letzten Bild erkenne ich Karola und Karl- Heinz, Geburtsjahr 1951.
Ja, wir waren stolz auf unsere neue Schule.
Eingeschult wurde ich 1956 und habe noch ein Jahr lang den Schulunterricht unter primitiven Verhältnissen kennen gelernt.
Das Lernen in der neuen Schule war um ein vielfaches schöner, es bereitete ganz einfach Freude.
Ich werde den ersten Schultag im Jahre 1957 niemals vergessen !
Mit diesem Zeitungsartikel wurden all die Emotionen wieder lebendig.
Danke !